Julius-Hischberg-Gesellschaft: Von Mozart über Paracelsus – nicht nur – zu Werneck und Sattler

Salzburg, die viertgrößte Stadt Österreichs, ist mit seinen fast schon unzähligen Sehenswürdigkeiten und Berühmtheiten auf der ganzen Welt bekannt: die Altstadt wurde zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt, Mozart wurde hier geboren und Salzburger Nockerln sind ein „Muss“ für jeden Liebhaber von Mehlspeisen. Auch medizinhistorisch hat Salzburg einiges zu bieten: Paracelsus lebte zeitweise hier und ist auf dem Salzburger Sebastiansfriedhof begraben, der Augenarzt Hubert Sattler wurde in Salzburg geboren und auch das Augenärzteehepaar Kerschbaumer praktizierte zeitweise hier.

An diesem landschaftlich, kulturell und historisch besonders außergewöhnlichen Ort fand von Freitag, dem 3. bis Sonntag, dem 5. Oktober 2008 die XXII. Zusammenkunft der JULIUS-HIRSCHBERG-GESELLSCHAFT statt.

Wissenschaftliches Programm in 4 Sitzungen

Der Einstimmung zur diesjährigen Tagung diente am Freitagnachmittag eine Führung durch die Mozart-Autographensammlung im Mozart-Wohnhaus, gefolgt vom Besuch des Paracelsus-Grabes und des Grabes des Augenarztes Wilhelm Werneck auf dem Salzburger Sebastians-Friedhof.

Wilhelm Werneck
Doctor Wilhelm Werneck Gedenktafel

Auf Grund des umfangreichen Vortragsprogrammes begann das wissenschaftliche Programm am 4. Oktober, bereits um 8:00 Uhr. Tagungsort war die Paracelsus Medizinische Privatuniversität (PMU). Der weitreichende wissenschaftliche Ruf und die Internationalität der JHG wurden nicht nur durch die 63 (davon 42 wiss.) Teilnehmer, sondern auch auch durch Referenten, die nicht nur nur aus dem zentraleuropäischen Raum stammten und für ihren Vortrag in Salzburg aus Frankreich, Schweden oder den USA angereist waren, unterstrichen. Die erste Sitzung des Vormittages war mit ihren Vorträgen dem 2007 verstorbenen Mitbegründer der JULIUS-HIRSCHBERG-GESELLSCHAFT, Prof. Dr. Rudolf Sachsenweger, und dem Gastgeberland Österreich gewidmet.

Prof. Dr. med. Matthias R. Sachsenweger (Landshut) erinnerte mit einer sehr bewegenden Hommage an seinen Vater „Rudolf Sachsenweger – ein Leipziger Ordinarius im Spannungsfeld des kommunistischen Staates„. Rudolf Sachsenweger wurde 1916 in Nahlendorf/Sachsen geboren. Nach Erlangung des Abiturs besuchte er zunächst die Lehrerbildungsanstalt in Lauenburg/Pommern, hier schloss er 1937 die Ausbildung als Schulamtsbewerber „mit Auszeichnung“ ab. Danach studierte er in Halle/Saale Geschichte, Mittelhochdeutsch, Psychologie und Philosophie, bis er 1938 eingezogen wurde. Den 2. Weltkrieg verbrachte er als Soldat an verschiedenen Frontabschnitten, durfte von 1941 bis 1943 in Jena und Rostock mit dem Studium der Medizin beginnen, um danach als Feldunterarzt an die Ostfront zurückzukehren. In der Zeit von 1945 bis 1949 war er in russischer Kriegsgefangenschaft in Estland, konnte jedoch nach Entlassung das angefangene Studium 1951 mit der Note „sehr gut“ beenden. Er legte 1955 seine Facharztausbildung an der Universitäts–Augenklinik in Halle ab, wo er sich ein Jahr später habilitierte. 1958 wurde er als Nachfolger von Karl Velhagen auf den Lehrstuhl für Augenheilkunde der Universität Leipzig berufen, wo er sich bis zu seiner Emeritierung 1981 wissenschaftlich profilieren und internationale Anerkennung erlangen konnte. Insgesamt hat er in der Zeit über 200 wissenschaftliche Veröffentlichungen und 50 Buchtitel geschrieben. Er wurde 1961 in den internationalen Gonin-Club gewählt. Bald darauf wurde er Ehrenmitglied der Academia Barraquer in Barcelona, Vorstandsmitglied der International Strabological Association, der European Strabismological Association und der European Glaucoma Society. Seit 1960 war er Mitglied der Société Francophone d’Ophtalmologie, seit 1972 der Leopoldina, 1979 Ehrenmitglied der DOG und seit 1980 Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig sowie der Academia Internationalis Ophthalmologica in Chicago. 1980 wurde er in Brighton für vier Jahre zum Präsidenten der European Ophthalmological Society gewählt, zweifellos der Höhepunkt von Anerkennungen seines beruflichen Lebens. 1967 erhielt er den Albrecht von Graefe-Preis der DOG. Zu seinem 80. Geburtstag im Jahre 1996 hat ihm die Leipziger Universität die Ehrendoktorwürde verliehen.

Rudolf Sachsenweger hat sich in der DDR nie politisch instrumentalisieren lassen, ist nie Mitglied der SED oder des Staatssicherheitsapparates gewesen. Sein Sohn berichtete über die wertkonservative politische Grundüberzeugung des Vaters, die diesem in der DDR Nachteile und Schwierigkeiten eingebracht hat.

Dr. med. univ. Egon Alzner (Bad Dürrnberg, A) berichtete über den in fast Vergessenheit geratenen „Wilhelm Werneck (1787–1842), Militärarzt, Augenarzt und Forscher„. Nach seinem Medizinstudium in Pavia war Werneck von 1809 bis 1832 Arzt in der österreichischen Armee. Nach ersten Studien bei Schmidt und Beer in Wien war Werneck von 1825 bis 1842 an der Privataugenklinik in Salzburg tätig. Viele seiner Forschungsberichte sind verloren gegangen, vermutlich hat er auch versäumt, manche seiner Arbeiten rechtzeitig zu veröffentlichen. Als einer der ersten hat Werneck die Kontagiosität der ägyptischen Körnerkrankheit postuliert – erst Jahrzehnte später wurde dieses Wissen Allgemeingut. Bekannt wurden seine histologischen Untersuchungen von Augengeweben. Hierbei erstreckten sich seine Forschungen nicht auf das menschliche Auge, sondern auch auf die anderer Säugetiere, Vögel, Fischen uns Amphibien. Hierin kann der erste Ansatz einer ophthalmologischen Gewebelehre gesehen werden. Als erster Augenarzt beschreibt er Koagulationsbehandlungen am Auge mit Sonnenlicht – bereits 115 Jahre vor Meyer-Schwickerath. Auch wenn die Erinnerungen an Werneck verblasst sind, sein Grab kann heute am Salzburger Sebastians-Friedhof gefunden werden.

Über „Ein ophthalmohistorisches Kleinod: Die pathohistologische Sammlung von Ernst Fuchs (1851–1930) in Wien“ sprach Univ.-Doz. Dr. med. univ. Gabriela Schmidt-Wyklicky, die am Institut für Geschichte der Medizin der Medizinischen Universität Wien, tätig ist. Hier befindet sich die legendäre Sammlung der histologischen Augenpräparate von Ernst Fuchs, der von 1885–1915 Vorstand der II. Universitäts-Augenklinik im AKH war. Zu seiner Zeit galt er als einer der hervorragendsten Ophthalmopathologen weltweit. Die Sammlung umfasst ca. 40.000 Schnitte, welche bis heute noch nicht katalogisiert sind. Die Entstehung dieser Sammlung geht noch auf die Assistentenzeit von Fuchs an der I. Univ.-Augenklinik in Wien unter Ferdinand von Arlt (1812–1887) zurück. Fuchs fertigte in eigenen Protokollbüchern stenographische Aufzeichnungen zu den jeweiligen Krankheitsbildern der Patienten an, welche er seither – offenbar entsprechend der histologischen Verarbeitung – fortlaufend nummerierte. Die erste dieser eigenhändigen Eintragungen stammte vom 16. Oktober 1876. Zusammen mit der fortlaufenden Nummerierung der histologischen Präparate wurden u. a. auch die Name der jeweiligen Patienten, die Protokollnummer, das Datum der Operation, einige Details zur Krankengeschichte und der Krankensaal dokumentiert. Die letzte Nennung von Ernst Fuchs, der sich 1915 in den Ruhestand hatte versetzen lassen, erfolgte erst am 20. Oktober 1919.

Die Präparate wurden von Fuchs nicht nur zu Dokumentationszwecken angefertigt und gesammelt, sondern auch für den mikroskopischen Unterricht herangezogen. In Zusammenarbeit mit der „Fuchs-Stiftung zur Förderung der Augenheilkunde“, die an der Salzburger Universitäts-Augenklinik beheimatet ist, wird schon seit einigen Jahren nicht nur eine Katalogisierung dieser in ihrem Umfang und ihrem hervorragenden Erhaltungszustand wohl einzigartigen Sammlung unternommen, sondern auch eine umfassende Biographie von Ernst Fuchs erarbeitet. Gegenwärtig wird versucht, alle jene Krankheitsbilder, die mit dem Namen „Fuchs“ verknüpft sind, in seiner Sammlung aufzufinden, die entsprechenden Präparate zu photographieren und mit der ursprünglichen Originalbeschreibung zu verknüpfen.

Der Medizinhistoriker und Geschäftsführer der JHG, Frank Krogmann (Thüngersheim, D), beschäftigte sich in seinem sehr ansprechenden Vortrag mit „Karl David Lindner (1883–1961) – In Salzburg fand er sein Ende„. Der in Wien geborene Karl David Lindner stammte aus einer kinderreichen, evangelisch geprägten Familie; er war das 7. von 13 Kindern eines aus Sachsen stammenden Drechslermeisters und Stockfabrikanten. Lindner absolvierte seine medizinischen Studien in Wien und das Wintersemester 1905/06 an der Sorbonne in Paris, wo er sich mit dem späteren Dermatologen Leopold Arzt anfreundete. Aus dieser Zeit konnte Lindner auch auf seine französischen Sprachkenntnisse zurückgreifen. 1908 begann Lindner seine ophthalmologische Fachausbildung unter Hofrat Prof. Dr. Ernst Fuchs an der II. Univ.-Augenklinik in Wien. Für seinen Beitrag zur Entdeckung des Trachom-Erregers erhielt Lindner von der Opht. Ges. Heidelberg einen Preis.1916 habilitierte er sich, übernahm 1924 die Leitung der Augenabteilung der Wiener Poliklinik und wurde 1927 als Vorstand der II. Univ.-Augenklinik als Nachfolger Friedrich Dimmers berufen. Erst 1928 erfolgte die Ernennung zum „ordentl. Professor“. Lindner führte seine Klinik durch die Zeit des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich und den Weltkrieg 1939/1945 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1953. Auf die Fortsetzung seiner Ordinariatstätigkeit im sogenannten „Ehrenjahr“ verzichtete er. Jedoch schlossen sich 1954 Honorarprofessuren in Kairo, 1954/55 am Gandhi Eye Hospital, Aligar, Indien und 1956/57 in Tabriz/Persien an.

Im Vortrag ging Frank Krogmann auf das Leben und Wirken Lindners gerade unter Berücksichtigung der Zeit des Nationalsozialismus ein. Bemerkenswert, aber zu Lindners Wesen – spartanisch einfach, Strenge gegen sich selbst – passend ist der Umstand, dass er seine mehrjährige Glaukomerkrankung selbst vor seiner Familie geheim gehalten hat. In Salzburg ereilte ihn 1961 während des Kongresses der ÖOG am Vortragspult im Kreise seiner Kollegen, Freunde und Schüler plötzlich der Tod. Bei seinem Begräbnis wurde das Lied „Lobe den Herren“ gesungen – Ausdruck für die eminente religiöse, christliche Prägung des Verstorbenen und seiner Familie. Den Vortragstitel ergänzte deshalb Frank Krogmann im Hinblick auf diesen Jenseitsbezug abschließend wie folgt: „In Salzburg fand er sein Ende und den Anfang“

Über die Anwendung von Pflanzen in der Ophthalmologie berichtete der Innsbrucker Univ.-Prof. Dr. med. univ. Franz Daxecker mit „Heilpflanzen der Augenheilkunde in: Wiener Dioskurides, Medicina antiqua und Macer floridus„. Er verglich in seinem Vortrag die Nennung und Verwendung von Heilpflanzen der Augenheilkunde der Werke Wiener Dioskurides (1. Jh. n. Chr.), Macer floridus (11. Jh.) und in Medicina antiqua (13. Jh. n. Chr.). Prof. Daxecker beschrieb die aufgeführten Pflanzen und ihre Anwendungsgebiete in dem jeweiligen einzelnen Werk und zeigte zahlreiche Übereinstimmungen zwischen den dreien auf. Im Wiener Dioskurides werden 17, in Medicina antiqua 20 und im Macer floridus 34 Pflanzen beschrieben.

Trotz des legendären Salzburger „Schnürl-Regen“ konnte auch schon am Freitag O. Univ.-Prof. Dr. Heinz Dopsch während seiner Führung durch die Sebastianskirche und den Sebastiansfriedhof mit seinen Ausführungen und seinem profunden Wissen begeistern. In seinem Vortrag während der wissenschaftlichen Sitzung berichtete er über „Paracelsus auf dem Weg nach Salzburg„. Beim Ausbruch des Salzburger Bauernkriegs war der Arzt Theophrastus Bombastus von Hohenheim, der sich später Paracelsus nannte, Anfang Juni 1525 aus der Stadt Salzburg geflohen. Solange Kardinal Matthäus Lang das Erzbistum Salzburg regierte, war für Paracelsus eine Rückkehr nach Salzburg ausgeschlossen. Die letzten Lebensjahre brachten dem Hohenheimer mit dem Druck der „Großen Wundarznei“ in Augsburg 1536 – dem einzigen medizinischen Werk, das zu seinen Lebzeiten erschien – einen wichtigen Erfolg. Sein Weg führte dann über Eferding nach Mährisch Kromau, wo Paracelsus bei der Behandlung des böhmischen Erbmarschalls Johann von der Leipnick scheiterte. Eine Audienz des Paracelsus in Wien bei König Ferdinand I., dem er eine „Prognostication“ gewidmet hatte, ist in der Forschung umstritten. Der Tod seines Vaters rief den Hohenheimer dann nach Villach, wo er den Kärntner Ständen seine „Kärntner Schriften“ widmete. Er war bereits „schwachen Leibs“, als der Tod des Kardinals Lang 1540 die lang erhoffte Rückkehr nach Salzburg ermöglichte. Dort verfasste er am 21. September 1541 sein Testament und starb drei Tage später an einer Quecksilbervergiftung, die er durch die Einnahme einer Überdosis Quecksilber zur Bekämpfung einer schweren Erkrankung selbst herbeigeführt hatte – was völlig unverständlich erscheint, denn der Nachwelt ist Paracelsus auch wegen seiner immer noch gültigen Aussage „Dosis sola facit venenum“ (Allein die Dosis macht das Gift) im Gedächtnis.

Die zweite Sitzung des Vormittages begann mit einem ganz besonders berührenden Vortrag der äußerst außergewöhnlichen Art durch Univ.-Prof. Dr. med. Hans Remky (München). Er berichtete von einem einzelnen Patienten mit „Thalamus-Blutung und Gesichtsfeld-Störung„. Die Häufigkeit intravitaler Nachweise von Thalamus-Blutungen hat mit der Verfeinerung nicht-invasiver Untersuchungsmethoden zugenommen. Die subjektive Bewertungsskala klinischer Symptome reicht bis in den Grenzbereich der Wahrnehmung. Ein 85-jähriger Mann bemerkte nach linksseitiger Thalamus-Blutung mehrmals eine sehr kurz dauernde Störung seines rechten Gesichtsfeldes: Das Zentrum erschien „brodelnd“ wie die Oberfläche kochenden Wassers und „schmolz“ ein. Durch das entstandene „Loch“ wurde ein um einige Prozente verkleinerter Teil des gleichen Gesichtsfeldes sichtbar. Dieses durch kräftigere Färbung leicht unterscheidbare Bild schien mehrere Zentimeter tiefer im Raum zu liegen. Das „zweite“ Bild glich sich dem ursprünglichen Gesichtsfeld schnell an. Die hier sehr einprägsam vorgetragenen Beobachtungen beschreiben die ophthalmo-pathologischen Symptome nach Thalamus-Blutung eines mit den Problemen der Pathophysiologie vertrauten, sehr prominenten Augenarztes und einem sehr verehrten Gründungsmitglied der JULIUS-HIRSCHBERG-GESELLSCHAFT.

Über „Den Arzt und Staatsmann Johann Friedrich Struensee und sein Beitrag zur Augenheilkunde“ berichtete Prof. Dr. med. Gerhard Holland (Kiel). Johann Friedrich Struensee wurde 1737 als Sohn eines pietistischen Pastors in Halle geboren. Nach dem Schulbesuch studierte er von 1752–1757 Medizin an der Universität Halle. 1757 wird sein Vater Hauptpastor in dem damals dänischen Altona. Struensee folgt dem Vater und wird gerade 20-jährig Stadtphysikus von Altona. 1768 begleitet er als Reisearzt den dänischen König Christian VII. nach England und Frankreich und wird nach Rückkehr im Januar 1769 dessen Leibarzt. Struensee gewinnt das Vertrauen des psychisch labilen Königs und zunehmend an politischem Einfluss in Kopenhagen. Im Juli 1771 wird er Geheimer Kabinettsminister und erhält damit fast unumschränkte Vollmachten, erlässt nahezu 1800 Dekrete ganz im Sinne der Aufklärung. Doch diese Neuerungen und auch sein Verhältnis zur Königin Caroline-Mathilde bringen ihm Feinde. 1772 wird er verhaftet und hingerichtet.

Während seiner 10-jährigen ärztlichen Tätigkeit in Altona ist Struensee auf fast allen Gebieten der Medizin publizistisch aktiv, schreibt u.a. gegen Aberglauben und Kurpfuscherei, setzt sich für die Pockenschutzimpfung ein, erkennt die Ursache der Maul- und Klauenseuche und veröffentlicht 1763 die wichtige Arbeit „Von der neuen Methode den Staar zu operieren“. Bereits wenige Jahre nach Daviels Veröffentlichung beschreibt er exakt die neue Methode, führt sie selber aus und empfiehlt die Pupillenerweiterung bei der Staroperation durch Atropin. Auch sieht er die Erkrankung der Geburtswege der Mutter als Ursache der damals oft zur Erblindung führenden Bindehautentzündung der Neugeborenen.

Bereits etwa 130 Jahre vor dem legendären Mediziner und Begründer der „Credé schen Prophylaxe“ – Carl Sigmund Franz Credé – beschäftigte sich Samuel Theodor Quelmalz mit der Augenbeteiligung der Gonorrhö bei Neugeborenen. MedR PD Dr. med. habil. Manfred Jähne aus Schneeberg refererierte über die ersten Ideen hierzu von „Samuel Theodor Quelmalz (1696–1758) und die Ophthalmia neonatorum„. Julius Hirschberg widmete in seinem 3. Buch „Geschichte der Augenheilkunde in der Neuzeit“ fünf Seiten im Kapitel §420 „Samuel Theodor Quelmalz und die Augeneiterung der Neugeborenen“. Anlässlich des 250. Todesjahres von S. Th. Quelmalz (Schreibweise auch Quellmaltz) schien es interessant hier nachzuforschen: Wer war Quelmalz (S Th Q), welche Geschichte hat die Therapie und letztendlich die Prophylaxe der Ophthalmia neonatorum? S Th Q wurde in der sächsischen Bergstadt Freiberg 1696 geboren. Er studierte in Leipzig und Wittenberg Medizin und Philosophie. In Leipzig war er ab 1737 nacheinander Professor für Physiologie, Anatomie, Therapie und hatte ab 1757 bis zu seinem Tode 1758 die Dekanswürde der Medizinischen Fakultät inne. Seine bedeutendste medizinische Leistung ist eine akademische Schrift aus dem Jahre 1750: S Th Q hat als Erster in der medizinischen Weltliteratur mit seiner Veröffentlichung den Augen-Eiterfluss der Neugeborenen beschrieben und als Ursache den eitrigen Scheidenfluss der gebärenden Mutter bzw. die ursprüngliche Gonorrhö des Vaters nachgewiesen. Diese Monografie von S Th Q war in der Ära vor der Bakteriologie ihrer Zeit weit voraus, sie fand keine zeitgenössische medizinische Beachtung. Der Begriff „Ophthalmia neonatorum“ (O. n.) wurde 1798 durch den berühmten Halleschen Arzt Johann Christian Reil (1759–1813) geprägt. Carl Ferdinand von Graefe (1787–1840) führte erstmals die wässrige Lösung des Höllensteinstiftes als Argentum nitricum fusum in die Behandlung der O. n. ein.

130 Jahre nach der Publikation von S Th Q ging der Leipziger Ordinarius für Geburtshilfe, Carl Sigmund Franz Credé (1819–1892), einen bedeutsamen Schritt weiter und stellte an Stelle der Frühbehandlung erkrankter Neugeborener die Prophylaxe eines jeden Kindes in den Vordergrund. Vor Einführung der sog. Credé’schen Prophylaxe erblindeten 1/10 der Neugeborenen an einer O. n., mehr als 20 % der Bewohner deutscher Blindenheime waren dadurch erblindet. Aus Göteborg (Schweden) war Prof. Dr. med. Erik Linnér für seinen Vortrag über „Carl von Linné über das Auge und seine Erkrankungen“ angereist. Carl von Linné (1707–1778) ist auch 300 Jahre nach seiner Geburt in einem Pfarrhaus im Süden Schwedens immer noch eine höchst faszinierende Persönlichkeit. Den Meisten ist er für sein binäres botanisches Klassifikationssystem in Erinnerung, allerdings hatte Linné auch großes Interesse an allen Lebewesen einschließlich des Menschen und klassifizierte auch diese nach derselben Art. Auf medizinischem Gebiet gab Linné gut besuchte Vorlesungen über Diätetik und Pathologie, inclusive ophthalmologischer Aspekte. Er betrachte den Sehapparat als das wertvollste göttliche Geschenk und das Sehen als den bedeutendsten unserer Sinne. Auch Aussagen zur Farbpsychologie sind von Linné zu finden: „Grün“ sei das herrlichste, während „Weiß“ die Augen schwach mache. Künstliches Licht sei nicht empfehlenswert für die Augen, nicht nur für Schmiede und Glasbläser, sondern auch für Schulkinder, die damals ihre Hausaufgaben beim offenen Feuer erledigten. Während einer Reise nach Lappland stellte Linné fest, dass die Lappen an schwachen Augen litten. Er bezeichnete ihre Augenerkrankung als „amblyopia lapponica“. Auch ernährungsphysiologische Beobachten sind von Linné überliefert: Der beschreibt, dass nach einem Aufstand in einer schwedischen Provinz im Jahre 1743 die Rebellen inhaftiert wurden. Zum Essen bekamen sie nur Haferbrei, aber kein Fett. Es wurde berichtet, dass sie fast erblindeten. Linné war überzeugt, dass es lebensnotwendig ist, eine gewisse Art von Fett zu essen, ansonsten würden die Augen schwach werden.

Die Vorstandsvorsitzende der JHG, Prof. Dr. med. Jutta Herde (Halle) berichtete über „Julius Jacobson und die Überwindung des „Nothstandes im Cultus Preussen„. Julius Jacobson (18.8.1828–14.9.1889) blieb seiner Heimatstadt Königsberg (heute Kaliningrad) treu. Nach absolvierter Schul- und Universitätsausbildung und erworbenem Doktortitel in der Medizin 1853/54 erfüllte er sich den Wunsch, bei und mit Albrecht von Graefe zu arbeiten. Die drei- bis viermonatige Ausbildung bei von Graefe sowie der von diesem arrangierte Operationskurs bei Ferdinand von Arlt in Prag prägten J. Jacobsons ärztliches und insbesondere augenärztliches Spektrum und seine Maxime, die Wissenschaft nicht als Mittel zum Zweck, sondern zum Wohle der Menschheit zu nutzen. Jacobson ließ sich 1854 in Königsberg allgemeinärztlich und chirurgisch mit schwerpunktmäßiger Bevorzugung der Augenheilkunde nieder. Mit der 1858 erfolgten Habilitation begannen Jacobsons akademische Laufbahn und der unerbittliche Kampf für den separaten Lehrstuhl für Ophthalmologie. Jacobson arbeitete in der Klinik, Lehre und Forschung sowie schriftstellerisch unermüdlich.

Jutta Herde
Prof. Dr. med. Jutta Herde

Im Kampf um die Wahrheit in Wissenschaft und Ophthalmologie nahm er kein Blatt vor den Mund, was ihm viele Feinde einbrachte. 1868 erschien seine Streitschrift „Die Augenheilkunde an preussischen Universitäten, ein Nothstand im Cultus“, der er 1869 und 1872 „Zur Reform des ophthalmologischen Universitäts-Unterrichtes“ folgen ließ. Mit der Zuerkennung der ordentlichen Professur und somit des Lehrstuhles für Ophthalmologie 1873 nahm der Siegeszug an allen preußischen Universitäten seinen Lauf. Mit der Einweihung des Neubaus der Klinik und Poliklinik für Ophthalmologie wo? hatte er sein Ziel erreicht. Seiner Feder verdanken wir zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten. Von Graefe nannte ihn den Mitvater der neuen Staroperationsmethode und sein Gewissen. In Julius Jacobson verehren wir einen der bedeutendsten Ophthalmologen der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland.

Nach der zweiten Sitzung des Vormittags fand im Rahmen dieser Tagung die Mitgliederversammtung der JHG statt. Der Satzung gemäß wurden hier drei Vorstandmitlieder neu bzw. wieder gewählt: Jutta Herde (Halle) und Franz Daxecker (Innsbruck) – beide wieder gewählt und Guido Kluxen (Neuwahl).

Die erste Nachmittagssitzung wurde mit einem Vortrag von Prof. Dr. med. Jörg Draeger (Hamburg) zum Thema “ Zur historischen Bedeutung der Ophthalmologie für die Seefahrt“ eröffnet. Schon im Altertum spielte die Seefahrt für Handel und Fischerei eine große Rolle. Die Schiffsführer orientierten sich zunächst an markanten Objekten an Land, nutzten aber bald auch die Gestirne zur Navigation. Dies stellte von vornherein hohe Anforderungen an die Punktsehschärfe des Schiffsführers. Später wurden zur Erleichterung der Navigation Markierungszeichen aufgestellt: Leuchttürme dienten als optische Tag- und Nachtmarken. Schon früh zeigte sich der Zusammenhang mit der erforderlichen Sehschärfe, dem intakten Gesichtsfeld, und auch dem Farbensehen, der Dunkeladaptation und der Kontrastwahrnehmung. Diese Beobachtungen führten verhältnismäßig früh zur Entwicklung von ophthalmologischen Anforderungskatalogen für die Zulassung zum Schiffsführer, zunächst national und international nach ganz unterschiedlichen Maßstäben. Herr Prof. Draeger referierte anschaulich über die Zusammenhänge zwischen Entwicklung der Orientierungshilfen und normierter Kontrolle der Sehleistungen.

Nach Ägypten entführte Dr. med. Dr. phil. Robert F. Heitz (Straßburg) die Zuhörer indem er über „Der einzigartige Blick einiger Augen aus altägyptischer Zeit“ berichtete. Die Augen einiger Statuen aus der Zeit des Alten Ägyptischen Reiches (2345–2181 v. Chr.) besitzen die sonderbare Eigenschaft, dass ihr Blick den Bewegungen des Betrachters folgt. Eine genaue Untersuchung dieser Augen erklärt die optischen Eigenschaften dieser einzigartigen Erscheinung der Kunstgeschichte.

Ein weiterer Beitrag im Rahmen der Kunstgeschichte kam von Dr. med. Gisela Kuntzsch-Kullin (Braunschweig): „Farbsinngestörte Künstler und Malerei„. Bezüglich der angeborene Farbsinnstörung (in der Literatur auch als Farbfehlsichtigkeit, Farbsinnanomalie oder Farbenblindheit benannt) beschrieb 1794 erstmals der britische Chemiker Dalton die Rot-Grün-Blindheit, an der er selbst litt und die deshalb als „Daltonismus“ bezeichnet wurde. Etwa zeitgleich befasste sich Goethe mit der Farbenlehre und später mit dem möglichen Einfluss der Farbschwäche auf die Malkunst. 1978 hat der Augenarzt Wolfgang Münchow unter 342 untersuchten Künstlern der Stadt Dresden 31 Rot-Grün-Gestörte gefunden, es lag also das gleiche Verhältnis wie in der allgemeinen Bevölkerung vor. Angeborene Farbsinnstörung und malkünstlerische Begabung schließen sich keineswegs aus. In welcher Form und unter welchen Umständen die Seh- und Malweise farbsinngestörter Maler erfolgen kann, wurde ausführlich im Vortrag besprochen. Auf Kompensationsversuche, Hilfsmöglichkeiten und Erkennungstaktiken wurde ebenfalls eingegangen, denn alle besprochenen Künstler haben Schwierigkeiten bei der Verwendung und Unterscheidung von Rot und Grün. Anlass für Dr. Kuntzsch-Kullin sich mit dieser Thematik zu beschäftigen, war die Besichtigung eines kleinen Heimatmuseums in Ballenstedt im Harz, in dem Bilder des dortigen ehemaligen Hofmalers Wilhelm von Kügelgen gezeigt wurden, der an einer Rot-Grün-Schwäche litt. Bei von Kügelgen hatte die Umwelt erst nach seinem Tod von der Farbsinnstörung Kenntnis erhalten. Im Vorrag wurde der Lebenslauf W. von Kügelgens beschrieben (1802–1867). Es folgen Beschreibungen über Malerschicksale von Georg Einbeck (Pole, 1871–1951), Florimond van Loo (Belgier, 1823–?), Joseph Achten (Österreicher, 1822– 1867), Paul Manship (Amerikaner, 1885–1965), Charles Meryon (Franzose, 1851– 1868) und Paul Henry (Ire, 1876–1958). Auch Künstlern wie Seurat, Whistler, Leger, Sisley, Constable und Turner wird eine Farbsinnstörung nachgesagt.

Dr. med. Aloys Henning aus Berlin referierte über „Die Bedeutung privilegierter Okulisten und Schnittärzte im 17. Jahrhundert„. Bereits bei der XXI. JHG-Zusammenkunft in Halle 2007 sprach Dr. Henning erstmalig über ein Okulisten-Netzwerk aus Nachfahren und Schülern eines reformierten niederländischen Exulanten aus mittelalterlichem Adel. Ihre Bedeutung konnte in Halle nur kanpp umrissen werden. Bis heute ließen sich in jener Zeit in Sachsen und Brandenburg 23 Okulisten nachweisen. Von ihnen waren – soweit ersichtlich – insgesamt 14 landesherrlich privilegiert: neun kaiserlich; zehn besaßen kurfürstliche Privilegia. Die personbezogene landes- bzw. reichsweite Praxiserlaubnis für Okulisten und Schnittärzte galt ihrer reisenden Praxis. Sie kennzeichnet einen im 17. Jahrhundert wesentlichen Typ augenärztlicher Versorgung in Korrespondenz zur damaligen Bevölkerungsdichte, insbesondere im Dreißigjährigen Krieg. Die gleichzeitige Bezeichnung privilegierter Okulisten und Schnittärzte als „Leibärzte“ scheint auf ihre Verpflichtung zu verweisen, dem privilegierenden Landesherrn auf Anforderung als medizinische Spezialisten zu dienen – im Unterschied zu seinerzeit raren besoldeten Hofokulisten, wie 1590 in Dresden Georg Bartisch, den Brandenburger Johann Dietrich Schertling in Königsberg 1667 und Moskau 1676, gefolgt 1696 in der preußischen Residenz von Dr. med. et chir. Joseph Viviani.

Die Biographie und augenheilkundlichen Aspekte des „Vorarlberger Bauern und Schriftstellers Franz Michael Felder“ präsenterte PD Dr. med. Gregor Wollensak (Berlin). Franz Michael Felder wurde 1839 in Schoppernau im Bregenzerwald als Sohn des Bauern Jakob Felder geboren. Im Alter von 6 Monaten entdeckten die Verwandten an seinem rechten Auge Flecken. Im Alter von 15 Monaten wurde er daher zur Behandlung zu dem damals in der Gegend bekannten Augenarzt Josef Wurzer nach Ischgl im Paznauntal/Tirol gebracht. Unglücklicherweise operierte Wurzer im angetrunkenen Zustand das gesunde linke Auge, welches im Verlauf zur Erblindung dieses Auges führte, so dass Felder zeitlebens nur noch das schwache rechte Auge blieb. Später brachte man den Buben wegen der Augenerkrankung zum Dorfpfarrer von Schwarzenberg, eine Wunderheilung blieb allerdings aus. Trotzdem wurde Felder ein tüchtiger Bauer und Schriftsteller. Er schrieb u. a. Romane, Erzählungen, Gedichte, Satiren und eine Autobiographie. Der Germanist Ludwig Hildebrand aus Leipzig wurde zum literarischen Förderer Felders. Felder war auch sozialreformerisch tätig, u. a. gründete er die „Vorarlberg’sche Partei der Gleichberechtigung“, eine Käsereigenossenschaft, einen Versicherungsverein der Bauern und 1867 eine der ersten Volksbüchereien von Österreich in Schoppernau. Felder machte sich hiermit in seinem Dorf nicht nur Freunde. Insbesondere mit dem Dorfpfarrer Johann Georg Rüscher gab es Auseinandersetzungen. Felder hatte insgesamt fünf Kinder. 1868 verstarb überraschend seine Frau. Nicht lange danach, am 26. April 1869, verstarb Felder an Lungentuberkulose und Schlaganfall.

Egal ob sie Hansen-Krankheit, Miselsucht, „Strafe Gottes“ oder Aussatz genannt wurde, die Lepra war früher auch in Deutschland eines der Schreckgespenster der Menschen. In manchen Ländern unserer Erde ist sie das auch heute noch. Prof. Dr. med. Guido Kluxen aus Wermelskirchen berichtete über den Norweger „Armauer Hansen (1841–1912) und okuläre Lepra„. Für Hansen war klar, dass es sich bei der Lepra um eine Infektionskrankheit handeln musste. Kurz bevor er sich sicher war, den Leprabazillus entdeckt zu haben, erschien zum ersten Mal eine separate Studie über die okuläre Lepra in Gemeinschaftsarbeit mit dem Ophthalmologen Ole Bull. Darin beschreibt er in histologischen Präparaten eine gelb-braune Masse, die lepraspezifisch zu sein schien. In deren Bereich entdeckte er etwas später den Leprabazillus ungefärbt in den Schnitten, dann etwas deutlicher mit Osmium angefärbt. Andere Mitbeobachter konnten diese Entdeckung faktisch nicht nachvollziehen. Hansen schien irgendetwas Unbedeutendes, was mit der Krankheit nichts zu tun hatte, in seinen Präparaten beobachtet zu haben. Sie sollten sich irren. Von einem Besuch des 24-jährigen Bakteriologen Albert Neisser, einem Schüler von Robert Koch, im Jahre 1879 in Bergen versprach sich Hansen endlich, dass dieser ihm bei der Anfärbung des Bazillus helfen könnte. Neisser und Hansen probierten die Weigert-Koch’sche Färbemethode, die zunächst genau so zu einem enttäuschenden Ergebnis führte. Man kann mutmaßen, dass Neisser die Präparate mit Hansen in Bergen absichtlich zu schwach anfärbte. Denn kaum wieder in Breslau zurück, fand Neisser spektakuläre Funde in ihm zur Verfügung gestellten Material aus Norwegen. Er zögerte nicht, seine Ergebnisse zu publizieren, ohne mit Hansen nochmals Kontakt aufgenommen zu haben.

Die vierte und letzte Sitzung begann mit einem Vortrag zur „Entwicklung der Kataraktchirurgie bei Kindern“ von Norman B. Medow, New York. Vieles ist über die Kataraktchirurgie beim Erwachsenen bekannt, nur wenig gibt es zur Geschichte der kindlichen Kataraktchirurgie. Unter Verwendung der Literatur, Bücher und Artikel, die vorwiegend vom 18. bis zum 20. Jahrhundert geschrieben wurden, konnten vom Medow klare Ideen zur Kataraktchirurgie bei Kindern gewonnen werden: In Schriften von Susruta, Galen, Bartisch, Paré oder Beer fand die kindliche Kataraktchirurgie keinerlei Erwähnung. Die erste Diskussion beginnt in der frühen Hälfte des 19. Jahrhunderts und geht mit der Entwicklung der Anästhesie einher. Dies war auch sehr wahrscheinlich der Hauptgrund dafür, dass früher nicht über diese Form der Kataraktoperation geschrieben wurde. Schon damals wie auch heute wird nich stark über den Zeitpunkt der Operation diskutiert, frühzeitige, späte oder wohlmöglich gar keine Operation. In seinem Vortrag erläutert Medow die diversen Widersprüche von der ersten Nennung bis hin zur Gegenwart, in der immer noch höcht unterschiedliche Aussagen zum bestenOP-Zeitpunkt oder zur Korrektur des aphaken Kindes existieren.

Ein weiterer Vortrag aus dem Bereich der Kunst kam von Dr. Sibylle Scholtz und Prof. Dr. Gerd U. Auffarth (Heidelberg): „Kunst oder Krankheit – Der Einfluss der Katarakt auf die späteren Bilder von William Turner„. William Turner war einer der berühmtesten Künstler, seine Gemälde inspirieren seit Generationen Maler und Betrachter. Die Veränderungen des Malstils seiner Spätwerke können im Sinne einer fortschreitenden Katarakt interpretiert werden. In diesem Vortrag beschrieben die Referenten den (möglichen) Einfluss einer (müglicherweise) fortschreitenden Katarakt im Spätwerk von William Turner. Es kann davon ausgegangen werden, dass er unter den Auswirkungen einer maturen Katarakt litt. Die optischen Effekte eines an einer Katarakt Erkrankten können in engem Zusammenhang mit der getrübten Augenlinse gebracht werden: Zunehmender Detailverlust und Veränderungen in der Farbauswahl sind symptomatisch für eine fortgeschrittene Katarakt, was auch in den Bildern William Turners nachzuvollziehen ist. In den Spätwerken William Turners kann der Einfluss seiner Kataraktentwicklung sehr gut nachvollzogen werden: Turner gestaltete seine späteren Bilder zunehmend detailärmer und bevorzugte verstärkt gelbe und braune Farbtöne. Da zu Zeiten Turners eine Katarakt-Operation noch als durchaus gefährlich galt, entschloss sich der Künstler wohl zu keiner Operation, zumindest ist über eine derartige OP nichts überliefert. Da Turner auch im Alter ein äußerst produktiver Maler war hat der Betrachter heute die Möglichkeit den Einfluss der voranschreitenden Katarakt dieses großen Künstlers in dessen Spätwerken nachzuvollziehen.

Über „Charles L. Schepens (1912–2006), Erfinder der binokulären indirekten Ophthalmoskopie und entscheidender Förderer der modernen Netzhautchirurgie“ sprach anschließend Prof. Dr. med. Dieter Schmidt aus Freiburg. Charles Schepens wurde 1912 in Mouscron (Belgien) geboren, sein Vater war Arzt für Allgemeinmedizin. Charles Schepens studierte Medizin in Belgien. Im Alter von 30 Jahren wurde er als Widerstandskämpfer von der Gestapo verfolgt. Er war gezwungen, seinen Namen zu wechseln. So übernahm er ein Sägewerk in Mendive in den Pyrenäen. Da er auch bis dorthin verfolgt wurde, war Schepens gezwungen bis nach Spanien zu flüchten. Von dort aus gelang es ihm, nach England zu entkommen. Dort begann er erneut als Augenarzt zu arbeiten, wo er bis zu seiner Übersiedlung 1947 mit seiner Familie nach Boston im Moorfields Eye Hospital arbeitete. Er entwickelte dort das binokulare indirekte Ophthalmoskop, das seitdem routinemäßig weltweit als entscheidendes Instrument für Netzhautoperationen verwendet wird. Das indirekte Ophthalmoskop stellt die Grundlage der modernen Netzhautchirurgie dar. In Boston gründete Schepens die erste Retina-Abteilung am Massachusetts Eye & Ear Infirmary. Seine Netzhautabteilung war einzigartig, sie zählte bald zu den bedeutendsten der ganzen Welt. Er publizierte mit seinem hervorragenden Team mehr als 300 Arbeiten und mehrere Bücher. Schepens beschrieb neue Untersuchungsmethoden und Augenkrankheiten, beispielseweise die familiäre exsudative Vitreoretinopathy (auch als Criswick-Schepens-Syndrom bezeichnet), und vor allem entwickelte er neue Operationstechniken. In Frankreich wurde im Alter von 94 Jahren geehrt, indem er zum Mitglied der „Légion d’Honneur“ ernannt wurde.

Auch das JHG-Vorstandsmitglied Dr. Albert Franceschetti (Meyrin, CH) bereicherte das Kongressprogramm mit seinem Vortrag „Schweiz, Feminismus und medizinisches Studium„. Es ist bemerkenswert, dass die Schweiz, die als sehr traditionsreich bekannt ist, eine hervorragende Rolle am Ende des XIX. Jahrhundert bei der Zulassung der Frauen zur Medizin gespielt hat. Man sollte nicht vergessen, dass das Frauenstimmrecht erst 1971 in die Bundesverfassung aufgenommen wurde, und dass Frauen und Männer erst 1981 in der Bundesverfassung gleich gestellt wurden. Die Gründe dafür sind verschieden, innerschweizerisch oder auch international: hochbegabte, oft jüdische Frauen, die meistens aus Russland kamen, revolutionäre Flüchtlinge aus dem Ausland, Opposition zwischen konservativen und revolutionären Gruppen (z.B. die Radikalen in Genf), finanzielle Überlegungen. Ein Jahrhundert später hat die Schweiz mehr Frauen als Männer im Medizinstudium. Das ist sicher erfreulich vom Standpunkt der Geschlechtergleichheit. Die Tatsache, dass Ärztinnen häufig eine Teilzeitarbeit ausüben und oft auch schlechter bezahlte Stellen annehmen, könnte nach Auffassung Dr. Fraceschetti einen negativen Einfluss auf die Qualität der ärztlichen Versorgung in der Schweiz haben.

Ein weiterer Referent aus den Vereinigten Staaten schloss das anspruchsvolle Kongressprogramm der diesjährigen Veranstaltung ab: Fraser Muirhead, MD FRCS(C) auch Tiburon, Kalifornien berichtete sehr ansprechend über „Ein wandernder Flecken der Hornhaut„. 1834 hat James Wardrup in seinem Buch „The Morbid Anatomy of the Human Eye, Second Edition, Volume One, pp. 71–23, 1834“, eine kurze englische Übersetzung von einem deutschen Artikel veröffentlicht. In der Übersetzung hat Wardrup geschrieben, „Manniske of Frankenhausen mentions a curious instance, where a foreign body, which stuck on the conjunctiva … advanced to the central part of the cornea.“ „I made an incision … and saw with the assistance of a microscope, a black body lying in the incision. I removed it with the point of the knife … and found it to be the wing case of a beetle“. 1798 wurde der ursprüngliche Artikel mit dem Titel „Ein wandernder Flecken der Hornhaut, welcher von der Flügeldecke eines Käfers entstanden war“ veröffentlicht.

von Graefe Fraser Muirhead
v.l.n.r.: Von Graefe mit Ehefrau und Fraser Muirhead

Der Autor, D. Manniske, ein Arzt, allerdings kein Augenarzt, beschrieb, wie er einen Fremdkörper von der Hornhaut eines Landgeistlichen abnahm. Wer war dieser unbekannte Arzt D. Manniske Muirhead fand nichts über ihn in den üblichen Nachschlagewerken – im Internet allerdinsg sehr viel! Er war Wilhelm August Gottlieb Manniske aus Frankenhausen, im ehemaligen Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt. Er lebte von 1769 bis 1835. Muirhead fand über Manniske heraus, dass dieser ein sehr fortschrittlicher Arzt war und an allen modernen Fortschritten seiner Zeit. interessiert war. Wie er die besagte Operation möglicherweise durchgeführt hat, und die Art des Mikroskops war noch unklar. Obwohl Manniske kein Facharzt war, hatte er Ende des 18. Jh. die Notwendigkeit erkannt, während der Augenchirurgie besser sehen zu können – also 90 Jahre bevor Zehender seinen „binokulare Cornea-loupe“ erfunden hatte, und 80 Jahre bevor Sämisch sein eigenes Instrument erfand, war Manniske mit dem technischen Mitteln seiner Zeit auf dieses Bedürfnis eingegangen: Er benutzte ein kleines Handmikroskop, um eine einfache Augenoperation vorzunehmen. Obwohl er das Handmikroskop lediglich dazu verwandte, die Wunde zu untersuchen, sollten wir anerkennen, dass er etwas völlig Neues tat, und ihm seine Erfindung hoch anrechnen.

Das umfangreiche und anspruchsvolle Kongressprogramm schloss mit Dankes- und Verabschiedungsworten von Prof. Jutta Herde und Frank Krogmann ab. Der Festabend fand ab 19.30 Uhr sehr stimmungsvoll im Hotel Elefant statt. Ein besonderes Highligh des Abends war auch hier die Teilnahme von Prof. Remky, der zusammen mit seiner Gattin auch diesen Teil des diesjährigen JHG-Kongresses auf sehr emotionale Weise bereicherte.

Remky Holland
v.l.n.r.: Matthias Remky, Frau Holland, Frau Remky

Den klassischen Abschluss fand die XXII. Zusammenkunft der JULIUS-HIRSCHBERG-GESELLSCHAFT mit einer stimmungsvollen Messe im Salzburger Dom am Sonntagmorgen. Anschließend konnte noch das Museum Alte Residenz und das Panorama-Museum besucht werden. Auch der nächste Jahreskongress der JHG bleibt den Alpen treu: Von der Stadt an der Salzach geht es nächstes Jahr hoch über den Bodensee ins Appenzeller Vorderland, nach Heiden: vom 2. bis 4. Oktober 2009 trifft sich die JHG unter dem Rahmenthema „Albrecht von Graefe – Augenheilkunde in Deutschland und in der Schweiz“ zur XXIII. Zusammenkunft. Ein Infofolder steht im optikum hier zum Download bereit.

Weitere Informationen können über den Geschäftsführer Frank Krogmann, Kirchgasse 6, 97291 Thüngersheim, Fax: +49(9364)811559, E-Mail: frank.krogmann@t-online.de erhalten werden.

Autorin: Dr. Sibylle Scholtz, Ettlingen, sibylle.scholtz@gmx.de

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