Was bringen neue Entspiegelungstechnologien?

Die Minderung von Oberflächenreflexe an Brillengläsern ist heute State of Art. Brillengläser ohne dieser gefinkelten Oberflächenvergütung verlieren je nach Brillenglasmaterial bis zu 20 Prozent Transmission durch Reflexion! Seit Erfindung der Entspiegelungs-Technologie im 19. Jahrhundert wurde der Restreflex laufend verringert. Die neuen Schichten zeigen bei einigen Produkten leider auch eine verringerte Beständigkeit gegen Alterungsprozesse und chemische beziehungsweise thermische Einflüsse. Insbesondere organische Gläsern sind davon betroffen. Die Hersteller haben weiterentwickelt und versprechen Abhilfe. Wir werden diesen Aspekt im Verlauf dieser Publikation nochmals genauer betrachten.

Die Erfindung der Entspiegelungstechnologie – historischer Überblick

Der 1787 geborene Josef Fraunhofer eignete sich nach einer Spiegelmacher- und Glasschleiferlehre im Selbststudium die Grundlagen der Physik und Optik an. In der Werkstatt des Optikers Joseph Niggl experimentierte er mit optischen Linsen. 1806 nahm Fraunhofer seine Tätigkeit als Optiker auf und wurde technischer Leiter eines Betriebes zur Herstellung optischen Glases. Erste Beobachtungen betreffend reflexmindernder Schichten machte Joseph Fraunhofer 1817. Er bemerkte, dass Linsen aufgrund atmosphärischer Korrosion einen geringeren Reflexionsgrad aufwiesen. Ursache war die geringere Brechzahl innerhalb der extrem dünnen, korrodierten Oberflächenschicht.

Um 1935 schaffte es Carl Zeiss in Jena reflexmindernde Schichten auf Linsen aufzudampfen. Zeitgleich schaffte Turner in Detroit Schichten herzustellen, die eine sehr gute Entspiegelung bewirkten. Die Öffentlichkeit erfuhr vom sogenannten „T-Belag“ (Transmissions-Belag) lange nichts, da die reflexionsmindernden Schichten bis 1940 ausschließlich für wehroptische Geräte – insbesondere für U-Boot Teleskope – produziert wurden.

Anfang der Vierziger Jahre wurden Entspiegelungen für Fotoobjektive freigegeben. Für Brillengläser startete die Entspiegelungstechnologie erst nach dem zweiten Weltkrieg. Um 1950 spezialisierten sich die ersten Unternehmen auf Beschichtungs-Optik und wurden in Folge Zulieferer aller namhaften Glashersteller. 1978 gelang es der Züricher Firma Satis Vacuum AG erstmals auch Kunststoffgläser mit einer Entspiegelung zu versehen. Anfang der achtziger Jahre kamen die ersten Entspiegelungen mit Breitbandwirkung auf den Markt. Die Superentspiegelung begann seinen Eroberungszug.

Optisch theoretische Grundlagen zu Entspiegelungen

Beim Übergang in ein Medium anderer optischen Dichte – etwa von Luft zu Glas – treten aufgrund der stark unterschiedlichen Brechzahlen Reflexionen auf. Die Stärke der zu erwartenden Reflexionen können mit der Fresnel Formel berechnet werden.

  Reflektierte Strahlungsleistung   ( n‘ – n )2
Reflexionsgrad ρ = ——————————
=
———-
  Einfallende Strahlungsleistung   ( n‘ + n )2

Aus dieser Formel ergeben sich folgende Reflexionsgrade für gängige Brillenglas-Werkstoffe.

Medium n
1,525
1,6
1,67
1,7
1,74
1,8
1,9
Reflexionsgrad
0,043
0,053
0,063
0,067
0,073
0,082
0,096
Reflexion
4,3%
5,3%
6,3%
6,7%
7,3%
8,2%
9,6%

Die Reflexionen werden vom Brillenträger im allgemeinen als sehr störend empfunden. Reflexe treten nicht nur an der Rückfläche, sondern auch im inneren des Brillenglases und über den Hornhautreflex auf. Wahrgenommen wird die Summe all dieser Reflexionen, die beim Straßenverkehr, bei der Bildschirmarbeit aber auch bei ganz normalen Tätigkeiten enorm lästig erscheinen.

Reflexe am BrillenglasArten der störenden Reflexe am Brillenglas

Reflexe über die Rückfläche des Brillenglases stören besonders bei nächtlichen Autofahrten, bei Sonneneinstrahlung oder Beleuchtung von hinten. Spiegelungen über die Innenflächen irritieren hauptsächlich bei der Betrachtung dunkler Hintergründe. Störende Reflexe über die Hornhautvorderfläche treten vermehrt mit zunehmender dioptrischer Wirkung auf. Zuletzt seien noch die Reflexe über die Vorderfläche des Brillenglases erwähnt, die für den außenstehenden Betrachter sehr auffällig erscheinen.

Zur Minderung der Reflexion an Brillengläsern bedient man sich der Wellennatur des Lichtes. Auf dem Brillenglas wird dazu eine extrem dünne Oberflächenbeschichtung aufgedampft. Die Brechzahl der Beschichtung liegt zwischen jener von Luft und des zu bedampfenden Materials. So finden Reflexionen sowohl an der Beschichtung als auch am Glasmaterial statt. Wenn die Schichte eine genau definierte Dicke und Brechzahl aufweist kommt es zu einer Phasenverschiebung der beiden reflektierten Lichtwellen. Im Idealfall fallen Wellenberge und Täler genau zusammen. In Folge kommt für eine bestimmte Lichtwellenlänge zur Auslöschung der Reflexion!

Entspiegelung Einfach-Entspiegelungsschicht mit Auslöschung eines reflektierten Wellenzuges

Physikalische Grundlage sind die Amplituden- und die Phasenbedingung. Mit der Amplitudenbedingung kann die notwendige Brechzahl des Entspiegelungsstoffes errechnet werden.

Aus dieser Formel ergeben sich folgende, benötigte Brechzahlen für den Entspiegelungswerkstoff.

n Brillenglas
1,525
1,6
1,67
1,7
1,74
1,8
1,9
n Schicht
1,235
1,265
1,292
1,304
1,319
1,342
1,378

Da derzeit kein fester Stoff mit der Brechzahl 1,235 und den erforderlichen chemischen und mechanischen Eigenschaften existiert, können Brillengläser mit einer Brechzahl um 1,50 – wie zum Beispiel Kronglas – nicht optimal entspiegelt werden. Zur Anwendung für Einfachentspiegelungen kommt primär Magnesiumfluorid MgF2 mit einer Brechzahl von 1,37 bis 1,38.

Die benötigte Dicke der Entspiegelungsschicht wird mit der Phasenbedingung ermittelt.

   
λ
d Schicht
=
————–
   
4 * n Schicht

Aus der Phasenbedingung ergibt sich bei einer Verwendung von Magnesiumfluorid mit n=1,37 für unterschiedliche Wellenlängen unterschiedlich große Schichtdicken.

Farbe Rot Grün Blau
λ [nm] 700 550 450
d Schicht [nm] 128 100 82

Da bei Einfachentspiegelungen immer nur für eine Wellenlänge optimiert werden kann, interferieren die anderen Wellenlängen nur mehr zum Teil. In der Folge weisen die Brillengläser einen typischen Restreflex auf, der je nach Philosophie des Herstellers einen gewissen Farbton aufweist.

Mit einer zweifachen Entspiegelungen kann man den Restreflex weiter verringern. Die Phasenbedingung gilt dabei weiterhin. Die Amplitudenbedingung muss jedoch für jede Schicht neu berechnet werden.

n Glas
1,525
1,6
1,67
1,7
1,74
1,8
1,9
n1 (MgF2)
1,37
1,37
1,37
1,37
1,37
1,37
1,37
n2 (innereSchicht)
1,69
1,73
1,77
1,79
1,81
1,84
1,89

Prinzip MehrfachentspiegelungPrinzip der mehrschichtigen Entspiegelung mit wechselnder Brechzahl

Mit mehrfachen Entspiegelungsschichten kann die Reflexion nahezu komplett unterbunden werden. Dabei wechseln sich Schichten mit höherer und niedrigerer Brechzahl ab. Der Schichtaufbau ist bei solchen hochwertigen Entspiegelungen sehr kompliziert und wird von den Herstellern – wie man sich vorstellen kann – unter Verschluss gehalten.

Herstellung von Entspiegelungen

Die Beschichtungstechnologie ist relativ aufwendig und kompliziert. Die aufgedampfte Schicht ist wie bereits erwähnt gerade über 100 Nanometer – also nur 0,0001 Millimeter – dünn. Um ein Anhaften der Schicht zu gewährleisten durchlaufen die Brillengläser zuerst 8 – 10 Reinigungsbäder. Nach einer anschließenden Ultraschallreinigung müssen die Brillengläser komplett rückstandsfrei getrocknet werden. Der geringste Staubpartikel führt zu einer mangelhaften Entspiegelungsschicht.

Nach dem Reinigungsprozess wird die Kugelkalotte der Entspiegelungsanlage mit den Brillengläsern bestückt. In der Anlage wird zunächst ein Unterdruck erzeugt und mittels einer mehrminütigen Glimmentladung Ionen und Elektronen zu den Glasoberflächen beschleunigt. In dieser Phase werden letzte, kleine Unreinheiten von den Oberflächen weggerissen. Zudem kommt es zu einer mikroskopisch geringfügigen Aufrauung.

Vor der eigentlichen Bedampfung wird ein Vacuum von 10-6 Hektopascal erzeugt. Die Beschichtung erfolgt derzeit mit zwei unterschiedlichen Technologien.

  • Thermische Verdampfer haben das Beschichtungsmaterial in einem sogenannten Schiffchen, welches auf Temperaturen von bis zu 2500 Grad Celsius erhitzt wird.
  • Elektronenstrahlverdampfer setzen Energien von bis zu 40 Kilowatt pro Quadratzentimeter frei! Das Beschichtungsmaterial wird zuvor in Form von Granulat oder Tabletten in wassergekühlten Metallgefäßen oder in Keramikgefäßen erhitzt.

Um die Schichtdicke zu steuern, wird ein schwingender Quarz mitbedampft. Im Zuge der Bedampfung ändert der Quarz seine Schwingfrequenz. Diese Frequenzänderung gibt Aufschluss über die erreichte Schichtdicke der Entspiegelung.

Neue Entspiegelungstechnologien – Lotuseffekt, Supercleancoat, Topcoat…

Fast alle Brillenglashersteller bieten seit kurzem eine extrem schmutzabweisende Oberflächenvergütung an. Durch ihre extrem glatten Oberflächen sorgen diese neuen Vergütungen für eine noch bessere wasser-, öl- und staubabweisende Wirkung. Tatsächlich bleiben die Oberflächen nicht von alleine sauber. Auch diese Brillengläser bedürfen einer sorgsamen Pflege. Sie sind aber deutlich einfacher zu reinigen als Brillengläser mit „normalen“ Cleancoat-Schichten. Flüssigkeiten perlen ab und Schmutzpartikel bleiben nicht so leicht haften wie auf herkömmlichen Veredelungen.

Beim Einschleifen dieser extrem glatten Brillengläser muss allerdings auf Achsverdreher achtgegeben werden. Viele Anbieter empfehlen deshalb die Verwendung einer transparenten Klebefolie, die für den nötigen Halt beim Aufblocken sorgt. Auf oszillierenden Vorschliff sollte ebenfalls verzichtet werden. Falls möglich sollte ein möglichst geringer Schleifdruck gewählt werden. Manche CNC-Schleifautomaten bieten dazu ein spezielles „Schonprogramm“, wie etwa Sicherheitsschliff oder High-Index an.

Auch beim Umsetzen „fremder“ Brillengläser sollte man zukünftig in Betracht ziehen, dass es sich um ein Supercleancoat-Glas handeln könnte. Die Verwendung einer Klebefolie und das Anpassen des Schleifdrucks schützt so nicht nur vor dem Zerkratzen der Brillengläser, sondern auch vor etwaigen, unangenehmen Achsverdrehungen.

Beschädigungen hochwertiger Brillenglas-Beschichtungen

Wie bereits erklärt sind Verschmutzungen vor allem superentspiegelten Brillengläsern sehr gut sichtbar. Dies führt unter Umständen zu einem verstärkten Putzen des Konsumenten. Doch nicht alle Putzmittel sind für die hochwertigen Veredelungen brauchbar. Besonders organische Brillengläser tendieren bei Fertigungsfehlern, starker Schweißeinwirkung, thermischer Belastung oder beim Einsatz aggressiver Putzmittel zu Schichtablösungen. So ist ein Haushaltsreiniger für Trinkgläser nicht für Brillengläser geeignet. Auch manche feuchten Billig-Brillenputztücher aus dem Drogeriemarkt können den hochwertigen Schichtaufbau nachhaltig schädigen.

Organische Brillengläser weisen zudem einen deutlich anderen Temperaturkoeffizienten als die aufgedampften Beschichtungen auf. Ein häufig rascher Temperaturwechsel könnte somit eine Schichtablösung begünstigen. Als Beispiel sei die Reinigung unter heißen Wasser nach einem Winterspaziergang angeführt. Im Extremfall wird das Glas in nur wenigen Sekunden von minus 10 Grad Celsius auf plus 50 grad Celsius „erhitzt“. Bei solchen raschen Temperaturschwankungen dehnt sich die Entspiegelungsschicht in einem anderen Verhältnis als das Glasmaterial aus. In Folge entstehen Risse. Je mehr Schichten eine Entspiegelung aufweist, desto höher ist der Transmissionsgrad, allerdings wird das Brillenglas mit Zunahme der Beschichtungsschichten anfälliger für thermische oder mechanische Beschädigungen.

Neue Beschichtungstechnologien wie Superclean und Lotusschichten könnten eine Verbesserung dieser Problematik bringen. Die neuen Beschichtungen sind allerdings noch relativ kurz am Markt um eine statistisch verwertbare Aussage zuzulassen.

Zusammenfassung

Bei jeder Kundenberatung sollte eine möglichst hochwertige Entspiegelung dringend empfohlen werden, um die Transmission und damit den Tragekomfort zu optimieren. Mit mehrfach- bzw. superentspiegelten Brillengläsern kann die Reflexion nahezu auf Null reduziert werden. Aufgrund des mehrfachen Schichtaufbaus ist die Haftbarkeit und mechanische Resistenz im Vergleich zu einfachen Entspiegelungen etwas herabgesetzt. Ebenso sind Verunreinigungen aufgrund der Reflexionen am Schmutzpartikel störender sichtbar. Mit Clean-, Superclean- bzw. Schichten mit einem Lotuseffekt kann die Reinigung und Schmutzresistenz der Brillengläser deutlich verbessert werden. Beschichtete Brillengläser sind hochwertige Optiken und benötigen einen sorgfältigen Umgang und eine adäquate Pflege. Das Reinigen der Gläser mit Haushaltsreinigern, nicht geeigneten feuchten Brillenputztüchern oder zu heißem Wasser sollte vom Konsumenten unterlassen werden. Zur Säuberung der Brille sollten ausschließlich speziell abgestimmte Reinigungsmittel kommen.

Lieteratur:
[1] Technologie für Augenoptiker, Heiner Bohn, Verlag DOZ
[2] Allgemeine Optik, Günther Roth, Verlag DOZ
[3] Handbuch zur Geschichte der Optik, Ergänzungsband III, Teil A, Die Brille, E.-H. Schmitz, Verlag Wayenborgh, 1995
[4] Zeiss-Geschichte zwischen den Kriegen, Dr. Wolfgang Hirsch, Friedrich-Schiller-Universität Jena
[5] Feinoptiker Teil 2, Heinz Pforte, VEB Verlag Technik Berlin, 1979
[6] Schäden an Brillengläsern durch Putzmittel, DOZ 10/2004

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