"Special effects" oder: Vom neuen Umgang mit Kontaktlinsen

Es ist nun mittlerweile in den entsprechenden Fachkreisen hinlänglich bekannt und schon über verschiedenste Ebenen diskutiert worden, dass ein Umdenken in der Kontaktlinsenhygiene erforderlich wurde. Ob es nun (Schimmel-)Pilze, Bakterien oder A(cantha)moeben sind: Die täglichen Angriffe auf unsere Immunabwehr werden immer massiver. Doch nicht etwa, weil wir von der Industrie schlecht wirksame Produkte bekämen. Auch konnte nicht festgestellt werden, dass etwa die Mikrobiologie aufgerüstet hätte und uns mit wirksameren „Waffen“ angreifen würde. Die Probleme sind hausgemacht. Und genau deshalb sind sie eigentlich auch gar nicht so schwer zu lösen – Eigentlich!

Ob es der „Markt“ nun gefordert hat oder ob man in den Bemühungen, Kontaktlinsentragen um jeden Preis einfach und simpel zu machen, über das Ziel hinaus geschossen war – auf jeden Fall wurde uns von der Industrie eine breite Palette „selbsttätiger“ Hygieneprodukte zur Verfügung gestellt. Und von allen Marktteilnehmern natürlich freudig begrüßt.

No rub oder first rub, then rinse?

Doch hat wirklich jemand die Handhabungs-Instruktionen der „no rub“-Produkte gelesen? Hier wird ganz klar vorgeschrieben, jede Seite der Kontaktlinse über volle 10 Sekunden mit einem kräftigen Strahl der Lösung abzuspülen. Das macht pro Tag und Linsenpaar mindestens 40 Sekunden Abspülzeit mit einer erheblichen Menge von Pflegelösung aus. Hinzu kommt dann noch die Menge, die für die Aufbewahrung der Kontaktlinsen im Etui benötigt wird. Hat jemand sich bewusst gemacht, wie lange dann beispielsweise eine 360-ml-Flasche reicht? Haben Sie Kunden, die solche Mengen an Pflegemitteln verbrauchen? Und vor allem: Haben Sie als Anpasser auch in jedem Fall so verfahren [1]? Um meine Schlussaussage hier schon einmal vorweg zu nehmen: Allein schon aus diesem simplen ökonomischen Grund macht es entschieden mehr Sinn, dem Anwender „first rub, then rinse“ zu empfehlen: Zum Abreiben der Linse benötigen Sie lediglich einige Tropfen der Multi-Purpose-Solution, wie auch immer sie heißen mag. Nach dem sorgfältigen Händewaschen legen Sie die Linse in ihre Handfläche und geben einige Tropfen der Lösung dazu. Reiben Sie die Linse vom Zentrum zum Rand für eine Zeitdauer von mindestens 10 Sekunden. Reiben Sie nicht im Kreis, da sie sonst die Linse ggf. zerknittern und so beschädigen könnten.

Anschließend spülen Sie die Linse kurz und kräftig mit frischer Lösung ab und lagern Sie sie im Etui, das Sie dann ebenfalls mit frischer Lösung befüllen. Entleeren Sie den Behälter stets, bevor Sie die Linsen für die Lagerung bis zum nächsten Gebrauch einlegen. Befüllen Sie den Behälter mit ausreichend frischer Lösung. Füllen Sie nicht einfach nur auf und verwenden Sie die Pflegelösung unverdünnt.

Warum nun soll dieses Prozedere
zu einer besseren und sichereren
Hygiene-Status von Kontaktlinsen und Auge führen?

Antworten auf diese Frage sind unter anderem schon in den strengen Richtlinien zur Zulassung eines Kontaktlinsen-Pflegemitttels bei ISO und FDA zu finden.

ISO und FDA
Strenge Richtlinien bei ISO und FDA

Diese unterscheiden in den „Stand-Alone“-Test und den „Regimen-Test“ nach ISO/DIS 14729. Der „Stand-Alone“-Test bewertet hierbei lediglich die Desinfektionsleistung des Produktes und lässt Kriterien zur Verträglichkeit, Anwenderfreundlichkeit und des sich unter seiner Verwendung einstellenden Trage-Komforts der Kontaktlinsen völlig außer Acht. Im „Regimen-Test“ hingegen sind auch verfahrenstechnische Effekte auf die Hygienewirkung von Relevanz. Hier wird demzufolge das mikrobielle Gesamtergebnis nach vorschriftsmäßiger Anwendung der Gebrauchsanweisung bewertet. Und hier ist quasi der Knackpunkt bei nahezu allen modernen „Multi-Purpose-Lösungen“ zu sehen, die noch das „no-rub“-Prinzip verfolgen: In den seltensten Fällen ist die reine Desinfektionslösung (vgl. „Stand-Alone-Test“) wirklich ausreichend, ein wirklich sicheres Ergebnis wird praktisch immer erst nach mindestens 10 Sekunden abspülen mit kräftigem Strahl der Lösung auf jeder Linsenseite erreicht – in anderen Fällen zumindest erst nach einer deutlich über 4 Stunden liegenden Einlagerungszeit. Das Desinfektionsergebnis ist also praktisch nie durch bloßen Kontakt der Lösung mit der Linse erreichbar sondern erfordert in jedem Fall eine spezielle Vorgehensweise und zumindest genau definierte Umgebungsbedingungen.

Kontaktlinsen

Labortests: "Stand-Alone-Test" und "Regimen-Test"

Chemiker mögen nun kritisieren, dass über den „Regimen-Test“ auch Produkte zugelassen werden, welche die reine Desinfektions-Leistung für jede Bakterienart (-3 log) bzw. Pilzart (-2 log) nicht schaffen. Aber auch beim Anwendungs-Test (Regimen-Test) steht ganz klar als Schlussforderung, dass eine definierte Anzahl auf der Kontaktlinse verbliebener „koloniebildenden“ Keime von 10 nicht überschritten wird. Diese Forderung beinhaltet somit einen Höchstwert von tatsächlich noch vorhandenen Keimen und entspricht damit einer Gesamt-Reduktion von mindestens 5log Einheiten, während hingegen sich der „Stand-Alone“-Test mit einer reinen Reduktion von 3log zufrieden gibt [2]. Zumindest für die Praxis-Relevanz ist demzufolge das Zulassungsverfahren über die Anwendungsprozedur das „wertvollere“.

Allerdings funktioniert es nur, wenn das Produkt auch vorschriftsmäßig angewandt wird. Wobei wir wieder bei der Patient-Compliance wären [3]. Diese wiederum ist nur erreichbar, wenn auch der Anpasser das Produkt umfassend und verständlich erklärt und die einzelnen Anwendungsschritte verbindlich gemacht hat. Dieser Kausalkreis entscheidet letztendlich darüber, wie sicher Kontaktlinsentragen wirklich ist. Es macht in diesem Zusammenhang nun wirklich keinen Sinn, wenn irgendwelche „Verbraucher-Tester“ in Verbindung mit Hardcore-Hygienikern die totale Sicherheit durch 100% desinfizierende Systeme fordern (das wäre dann sowieso keine Desinfektion mehr, sondern Sterilisation). Denn selbst wenn man einen solchen Effekt mit aggressiven Mitteln á la „Domestos“ vielleicht erzielen wollte: Es ist derzeit noch keine dieser „wirksamen“ Substanzen bekannt, unter denen eine Kontaktlinse dann auch noch verträglich bleiben würde. Bekanntermaßen ist es den Mikroorganismen ja auch möglich, sich in einem Biofilm im Kontaktlinsenbehälter sogar vor Peroxid zu verstecken [4]. Insofern werden wir noch eine ganze Weile mit dem „Kompromiss“ leben müssen, dass zur guten Kontaktlinsenverträglichkeit eine adäquate und sorgfältige Pflege-Prozedur ganz einfach unerlässlich ist. Und wir müssen diese Handhabung unseren Kunden und Patienten gewissenhaft vermitteln.

Aus Mängeln im Zulassungsverfahren nach ISO/DIS 14729 sind jedenfalls eventuelle mikrobielle Probleme der Praxis nicht herzuleiten. Wenngleich es sicherlich diskutiert werden müsste, ob die bisher verwendeten „Referenzkeime“ nach Art und Bandbreite nicht vielleicht die eine oder andere Ergänzung nötig haben könnten. Die Problematik wird dadurch vielleicht etwas mehr eingegrenzt, mit Sicherheit nicht vollständig eliminiert.

Didaktisch sinnvolle Aufklärung tut Not!

Dass es in dieser Hinsicht noch viel zu tun gibt, stellt jeder spätestens dann fest, wenn man sich einmal – was ja auch Verbraucher gerne tun – im Internet umschaut, was da so an qualifizierten und „anderen“ Empfehlungen die Runde macht. Schauen Sie einmal unter dem Stichwort „Kontaktlinsen“ oder „Kontaktlinsenpflege“ ins Internet und lesen Sie die verschiedenen „Verbraucher-Blogs“. Dann wissen Sie schon nach wenigen Minuten, wo der Aufklärungsbedarf in der Praxis besteht.

Doch nicht nur die gegenseitigen Verbraucher-Empfehlungen könnten Ergänzungen vertragen. Leider sind auch die Pflegeempfehlungen so mancher Hersteller immer noch etwas zu „soft“. Man findet da immer noch Formulierungen wie:

„Ihr Kontaktlinsenanpasser wird Ihnen vielleicht empfehlen die Kontaktlinsen vor der Aufbewahrung manuell zu reinigen. In diesem Fall legen Sie die Kontaktlinse, nachdem Sie sie vom Auge genommen haben, in die Handfläche und geben einige Tropfen „xyz“-Lösung auf die Kontaktlinse. Reiben Sie die Kontaktlinse vorsichtig mit dem Zeigefinger für 20 Sekunden ab. Spülen Sie die Kontaktlinse gründlich mit frischer „xyz“-Lösung, um alle Ablagerungen zu entfernen. Dann geben Sie die Kontaktlinsen wie oben angegeben in den Aufbewahrungsbehälter.“

Der Pflegeschritt ist hier zwar gut und anschaulich erklärt, wird durch die Einleitung „…wird ihnen vielleicht empfehlen….“ dermaßen abgeschwächt, dass er letztendlich auch nicht hier zu stehen bräuchte. Mit Empfehlungen in der Art eines „gegebenenfalls“ oder „vielleicht“ produziert man kein Problembewusstsein beim Verbraucher. Und damit auch keine Akzeptanz für einen im ersten Ansatz vielleicht als umständlich eingestuften Handhabungsschritt.

Die richtige Pflege der Kontaktlinsen [5]
"Zum Reinigen die Kontaktlinse in die Hand legen, mit ein paar Tropfen Reinigungsflüssigkeit benetzten und mit dem Finger vorsichtig einreiben. Zur Abtötung von Keimen und anderen Krankheitserregern sollten die Kontaktlinsen ca. alle zwei Wochen mit einer speziellen Desinfektionslösung gereinigt werden. Damit die Kontaktlinsen sauerstoffdurchlässig bleiben, sollten sie ein Mal pro Woche von Eiweißrückständen befreit werden. Dazu ist ein Spezialreiniger notwendig. Generell sollte die Kontaktlinse nur in einem speziellen Aufbewahrungsbehälter mit einer speziellen Aufbewahrungsflüssigkeit deponiert werden. Der Behälter sollte regelmäßig desinfiziert und ausgetauscht werden, denn angeblich soll die Hälfte der Hornhautentzündungen durch verschmutzte Aufbewahrungsbehälter entstehen."

Wie gesagt: Da wurde von einem Laien die Problematik durchaus erkannt (vielleicht durch selbst gemachte Erfahrungen!?) Und auch didaktisch eindeutig die bessere Form gewählt: „..Die richtige Pflege von…“. Aussage. Punktum. So zu befolgen – aber inhaltlich sind eben doch ganz wesentliche Fehler enthalten. Hinzu kommt dann noch, dass diese Info in einer unübersichtlichen Anzeigenfriedhofs-Site vergraben wurde. Fazit: Das ist zwar gut gemeint, aber in dieser Form völlig ungeeignet als seriöse Information.

Dies sind nur einige wenige Beispiele aus der Praxis die aufzeigen, dass sicherlich noch sehr viel in Sachen Verbraucher-Aufklärung getan werden kann und auch muss. Die Anzahl von bakteriellen Keratitiden in Verbindung mit Kontaktlinsentragen ist zwar nicht unmittelbar alarmierend – aber sie ist andererseits sicherlich immer noch zu hoch. Und auch „Funghi“’s gehören besser auf die Pizza und nicht auf’s Auge. Man sollte hier nicht auf irgendwelche Grenzüberschreitungen bei den Fallzahlen warten – denn JEDE Komplikation ist ein Fall zuviel. Das Image der Kontaktlinse bei Verbrauchern lässt sich nun mal nur über möglichst viele komplikationsfreie Anwendungen auf Dauer nachhaltig verbessern.

Und deshalb macht es auch keinen Sinn, seinen Kontaktlinsenkunden oder –patienten Fotos mit wüsten Keratitiden oder einer blühenden Conjunctivis oder gar einem hässlichen Ulcus vor Augen zu halten. Und dazu hin mit blumigen Worten auf die „Gefahr“ hetzen, die mit dem Kontaktlinsentragen womöglich verbunden sein könnte. Der erzieherische Wert solcher Schock-Therapien ist ausgesprochen begrenzt. Wer hat schon wirklich mit dem Rauchen aufgehört, nur weil irgendwelche „bösen“ Dinge inzwischen auf den Packungen aufgedruckt sind.

No Rub oder Rub first

"Rub" versus "No-Rub"

Es ist didaktisch sehr viel sinnvoller, seinen Kunden klare, exakt formulierte Regeln aufzugeben, die ganz einfach mit dem Linsentragen verbunden sind. Es ist eine Tatsache, dass sich sehr viele Menschen innerhalb konkreter Regelungen deutlich wohler und auch sicherer fühlen, als wenn man sie in liberalem „Soft-Care“ umherirren lässt. Die „Verbraucher-Blogs“ im Internet sind ein ganz klarer Hinweis darauf, dass sich die Menschen sehr wohl das holen, was sie „tun sollen“.

Unter diesen Aspekten ist es sehr zu begrüßen, dass beispielsweise AMO mit seinem „COMPLETE Easy Rub“ eine Multi-Purpose-Solution auf den Markt gebracht hat, die auch klar ausdrückt, dass man mit ihr wirklich mehrere Dinge tun kann: Wirklich und aktiv reinigen zum Beispiel, darüber hinaus auch abspülen und mit guter desinfizierender Wirkung die Linsen aufbewahren.

Der Trend ist eingeleitet. Namhafte amerikanische Kontaktlinsen-Organisationen [6] empfehlen ganz klar „do the rub!“. Drum: Gehen Sie als Praktiker ebenfalls auf die sichere Schiene. Machen Sie es Kunden und Patienten vor, indem Sie JEDE Linse mindestens nach der Verwendung noch in seinem Beisein manuell reinigen, ausreichend und gut abspülen und sorgfältig in frischer Lösung lagern. Einen zusätzlich positiven „Vormach-Effekt“ erzielen Sie außerdem, wenn Sie auch jede neue Linse vor dem Aufsetzen auf ein Auge ebenfalls in der beschriebenen Prozedur behandeln. Wissen und gute Gewohnheiten vermittelt man am einfachsten in der Anwendung. Abgesehen davon ist so manche fabrikneue Kontaktlinse ganz einfach subjektiv angenehmer zu tragen, wenn sie vor der ersten Anwendung einmal manuell gereinigt und gut abgespült wurde.

Sie tragen dadurch weitaus mehr dazu bei, zufriedene und sogar begeisterte Kontaktlinsenträger zu bekommen, als wenn Sie einfach nur Linsen billig abgeben und darauf hoffen, dass er das mit der Pflege und Hygiene schon richtig machen wird… Fachleute erkennt man unter anderem auch daran, dass sie sich ihrer Verantwortung bewusst sind und entsprechend handeln!

Autor:
Dr. Martin Lauer
Lindenallee 5B
41751 Viersen / Dülken
Deutschland

eMail: dr.lauer.auge@t-online.de
Web: http://www.augenaerzte-viersen.de

Referenzen:
[1] Lewis, B.; „No Rub No More – A Guide to healthy Contact Lens Wear“; http://ezinearticles.com/?No-Rub-No-More-A-Guide-To-Healthy-Contact-Lens-Wear&id=774046
[2]
Scholtz, S., Spiegler, A., „No Rinse – no Rub“, DOZ 4/2004 und Scholtz, S.: „No Rinse, no Rub – das ist hier die Frage!“; www.optikum.at/222.htm
[3]
Homm, M.M, Simmons, P.A.; Contact Lens Spectrum / September 2001
[4]
Scholtz, S., Ott, H., Biofilm, Focus 5/2004.
[5]
http://www.simones-schatztruhe.de/2007/10/31/kontaktlinsen-pflege/
[6]
The American Optometric Association; Contact Lens Association of Ophthalmologists; Contact Lens Society of America; http://www.mycontactlenses.org/contactcare-06.php

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